Stolpersteine
In Hamburg erinnern, wie in vielen anderen Orten Deutschlands, kleine Gedenksteine an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Das Projekt der Stolpersteine hat der Kölner Künstler Gunter Demnig 1995 ins Leben gerufen. Seit dem Jahre 2002 liegen diese Steine in ständig wachsender Zahl auch in Hamburg. Wir stellen hier die Stolpersteine von Volksdorf und Umgebung und die dazu gehörenden Biographien vor. Für die unten stehenden Beiträge bedanken wir uns bei Dr. Eva Lindemann und Ursula Pietsch, die zusammen mit Klaus Pietsch die Geschichte Volksdorfs für die Jahre 1933-45 erforschen und veröffentlichen. Weitere Information zum Projekt und den Steinen finden Sie auf der Internetseite Stolpersteine-Hamburg.
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Seit Januar 2008 sind zahlreiche Ausgaben der Schriftenreihe "Stolpersteine in Hamburg – Biographische Spurensuche" erschienen. Die einzelnen Bände dieser von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Schriftenreihe beschäftigen sich mit Lebensgeschichten jener Opfer für die in den Hamburger Stadtteilen bisher Stolpersteine verlegt wurden (siehe Literatur auf www.stolpersteine-hamburg.de). | ![]() |
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Auf den Spuren der Stolpersteine...
Am vergangenen Sonnabend traf sich eine kleine Gruppe von interessierten Volksdorfern zu einer Fahrradtour, die zu den verschiedenen Stolpersteinen in Volksdorf führte. Der Ausgangspunkt war die Horstlooge, wo vor dem Haus Nr. 35 vier Steine liegen. Diese Stolpersteine erinnern an das Schicksal von Dr. Theodor und Clara Tuch, Gustav Jordan und Gella Strehm. |
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Robert Salomon Liebermann geb. 22.5.1883 in Hamburg 1941 hier vertrieben 1966 gestorben. Stolperstein: Im alten Dorfe 61 Eigentlich erinnern Stolpersteine an Menschen, die während der NS-Zeit ermordet wurden oder in den „Freitod“ gingen. In Ausnahmefällen allerdings verlegt der Künstler Gunter Demnig auch Steine für Personen, die einen besonderen Leidensweg gehen mussten, wie hier für Robert Liebermann 1917 erwirbt der Hamburger Bankier Friedrich Salomon Liebermann das Grundstück „Im alten Dorfe “ 61 mit dem heutigen um 1912 erbauten Jugendstilhaus. Sein Sohn Robert studiert Maschinenbau in München und nimmt als Artillerieoffizier am Ersten Weltkrieg teil. Für besondere Verdienste bekam er mehrfach Auszeichnungen, die ihm viel bedeuteten. Während eines Lazarettaufenthaltes lernt er die nichtjüdische Krankenschwester Annemarie Stampe (* 1893) kennen. Das Paar heiratete und zieht mit dem 1919 geborenen Sohn Rolf in die elterliche Villa nach Volksdorf. Robert und Annemarie Liebermann fühlen sich in ihrem Vaterland fest verwurzelt. Dazu mag beigetragen haben, dass die weit verzweigte Familie so illustre Namen aufweist wie den Maler Max Liebermann (1847-1935) und den später berühmten Komponisten und Intendanten der Hamburger Staatsoper Rolf Liebermann (1910- 1999). In der Weltwirtschaftskrise verliert Robert Liebermann seine berufliche Existenzgrundlage, weil seine Firma Konkurs macht. So vermieten Liebermanns die Parterre-Wohnung der Villa. Vor dem Haus gibt es ab Mitte der Dreißiger Jahre wiederholt Randale und Geschrei. Der Mob in brauner Uniform kommt herein und verwüstet die Bibliothek. Ein Lichtblick: Dr. Thilo, der neue Mieter, lässt Liebermanns nicht allein. Wenn die Gestapo nachts zur Hausdurchsuchung erscheint, steht er mit auf und machte den Eindringlingen klar, dass er ihr Tun missbilligte. Im November 1938 findet sich Robert Liebermann als „Schutzhaftgefangener“ im KZ Sachsenhausen wieder. Häftlinge über 50 Jahren werden nach einigen Wochen wieder entlassen. Die Hausgemeinschaft in der Villa verändert sich: Robert Liebermann richtet eine Art Pension ein, in der jüdische Familien die Zeit vor ihrer Emigration nach England überbrücken Der eigene Sohn Rolf, in der Terminologie der Nationalsozialisten Mischling ersten Grades, macht am Johanneum in der Innenstadt Abitur. Um sich schützend vor seinen jüdischen Vater zu stellen, meldet er sich sofort zum Militärdienst. Doch dem NS-Denken entsprechend ist er als Halbjude „wehrunwürdig“. Nach erfolgreich abgeschlossener Lehre als Flugzeugbauer bei Blohm & Voss, darf er doch in den Krieg ziehen. Rolf L. fällt am 25.4. 1942. Seit dem 1. Januar 1939 müssen alle männlichen Juden zusätzlich den Vornamen Israel tragen. Robert Liebermann weigert sich. Dies bringt ihm Anfang 1941 erneut mehrere Wochen „Schutzhaft“ im Polizeigefängnis und KZ-Fuhlsbüttel ein. Im selben Jahr beginnt die Stadt Hamburg, Druck auf die jüdischen Hausbesitzer auszuüben, um sie dazu zu bringen, ihr Eigentum unter Preis der Stadt zu übereignen. Robert Liebermann versucht Villa und Grundstück auf Rolf zu übertragen. Da die Gemeinde Volksdorf jedoch bereits selbst auf die Immobilie „Im alten Dorfe“ reflektiert, scheitert dies. Im selben Jahr ziehen Liebermanns aus; sie hatten einen Bruchteil des Preises bekommen, den der Vater 1917 gezahlt hatte. 7500 RM davon gingen als „Reichfluchtsteuer“ auf das Sperrkonto „Robert Israel Liebermann“. Von Mai 1943 bis Mai 1945 zeigt sein „Arbeitsbuch“, mit einer Unterbrechung im Herbst 1943, dass Liebermann Zwangsarbeit leisten muss. Nach dem Kriege bietet man Liebermanns das Haus „Im alten Dorfe“ 61 wieder an. Doch nach all dem, was geschehen war, wollen sie nicht zurückkehren. Sie werden mit einem Haus am Volksdorfer Damm „entschädigt“, ziehen aber selbst in den Sarenweg in Ohlstedt. Das Grab des Ehepaars Liebermann befindet sich auf dem Friedhof Wohldorf. Obwohl das Haus „ Im Alten Dorfe 61“ seit 1941 der Stadt Hamburg gehörte, die es an die Polizei weitervermietet hatte, spricht man in Volksdorf immer noch von der „Liebermann-Villa“. Anfang 2008 ist die Polizeidienststelle ausgezogen. Die Hansestadt Hamburg hat den Großteil der Immobilie danach profitabel veräußert. Das Schicksal der inzwischen unter Denkmalschutz gestellten Jugendstilvilla auf dem winzigen verbliebenen Restgrundstück ist dadurch, sechzig Jahre nach der Zwangsenteignung, erneut fragwürdig. Text: Dr. Eva Lindemann weitere Informationen |
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Dr. Max Fraenkel geb. 7.1.1882 Freitod 21.3.1938 Stolperstein: Mellenbergweg 55 Max Fraenkel entstammt einer Arztfamilie aus Schlesien, die bei ihrer Übersiedelung nach Hamburg den jüdischen Glauben abgelegt hatte und seither ihre Kinder evangelisch taufen ließ. Die Praxis des Nervenarztes liegt in der Dammtorstraße. Privat wohnt er mit seiner Frau Lotte, geb. Sperber, am Mellenbergweg in Volksdorf. Das Ehepaar führt ein offenes Haus, das nicht nur den eigenen Töchtern Musikunterricht ermöglicht, sondern ebenso andere Kinder dazu einlädt. Nach Dienstschluss kümmert Fraenkel sich häufig um junge Patienten im „Erlenbusch", einer Volksdorfer Einrichtung für behinderte Kinder, deren Leiterin Hilde Wulff in der Nazizeit auf einen Kreis von verdeckten Unterstützern und Helfern angewiesen ist. Er selbst - im Sinne der Rassenideologie als „jüdischer Arzt" registriert - wird in seiner Berufsausübung immer weiter eingeengt und schließlich mit totalem Berufsverbot belegt. Aus Verzweiflung erschießt er sich am 21. 3. 1938 in seinem Haus am Mellenbergweg. Text: Ursula Pietsch |
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Herbert Pincus geb. 6.11.1920 deportiert am 8.11. 1941 nach Minsk Stolperstein: Im Allhorn 45
RM 300 soll der Onkel noch ausspucken, dann soll es gut sein! In diesem Vermerk liegt das Todesurteil über den 19jährigen Herbert, denn diese Summe kann der erwerbslose Herbert nicht aufbringen und am 1. September bricht der Krieg aus. Nun darf kein Jude mehr ausreisen. 50 Jahre später erinnern sich die ehemaligen Klassenkameraden an ihren Mitschüler Herbert. Nachträglich erforschen sie sein Schicksal und fügen seinen Namen ein auf der Gedenkwand des Walddörfer-Gymnasiums für die Opfer von Krieg und Gewalt. Text: Ursula Pietsch weitere Informationen... |
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Alfred Conrad Friedrich Schär geb. 5.8.1887 ermordet im KZ Fuhlsbüttel am 13.7.1937 Stolperstein: Wulfsdorfer Weg 79 Der Taubstummenlehrer Alfred Schär und seine Frau, die Lehrerin Antonie, gründen Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit einer Gruppe gleichgesinnter Familien aus dem Kollegenkreis eine kleine genossenschaftlich organisierte Siedlung. In vier Doppel- und zwei Einzelhäuser mit Gartenland und privatem Kindergarten leben sechs Familien und teilen einen Brunnen, die Kläranlage und einen 1500qm großen Spielplatz. Der Nachbar Helmut Hertling setzt Ende der 50ger Jahre zur Erinnerung an Alfred Schär einen Stein auf dem ehemaligen Spielplatz der Siedlung. (Veröffentlicht in: A. Louven /U. Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern, hrsg. von der Landeszentrale für pol. Bildung, S. 155 ff.) Recherche: Ursula Pietsch und Dr. Eva Lindemann |
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Gustav Jordan geb. 13.8.1869 in Hechingen am 19.7. 1942 nach Theresienstadt deportiert, in Treblinka ermordet.
Clara Tuch, geb. Levie Als der Witwer Gustav Jordan 1933 seinen Kaffeegroßhandel in der Hamburger Innenstadt aufgeben muss, zieht er sich in die dünnbesiedelte Horstlooge zurück in der Hoffnung, hier unauffällig leben und sich um seinen großen Garten kümmern zu können. Da er jedoch der Deutsch-Israelistischen Gemeinde, Hamburg angehört , werden andere Hamburger jüdischen Glaubens zwangsweise in sein Haus eingewiesen. In Volksdorf spricht man fortan von dem „Judenhaus". Eine Postkarte, die Clara Tuch ihr in das Ghetto Lodz schreibt, (Veröffentlicht in: A. Louven /U. Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern, hrsg. von der Landeszentrale für pol. Bildung, S. 168 ff.) Text: Ursula Pietsch weitere Informationen - Gustav Jordan - Dr. Theodor Tuch - Clara Tuch - Gella Auguste Streim |
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...und in der Nähe von Volksdorf |
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Chaja Rywa Balck geb. Skop am 22.4.1895 in Diewin am 11.7. 1942 deportiert nach Auschwitz Stolperstein: Lottbeker Weg 24 in Wohldorf-Ohlstedt Über Chaja Rywa Balck wissen wir bisher wenig. Sie ist Mitglied der Deutsch Israelitischen Gemeinde Hamburgs und mit dem evangelischen, "arischen" Paul Balck verheiratet. Die Ehe ist kinderlos. Damit lebt sie in einer „priviligierten Mischehe", deren Schutz mit dem Tod ihres Mannes entfällt, deshalb wird sie nun auch nicht mehr von der Deportation zurückgestellt. Bei ihrer Ankunft in Auschwitz ist sie 47 Jahre alt. Text: Ursula Pietsch weitere Informationen... |
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Walter Bunge geb. 1898 in Halle an der Saale am 27.11.1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet Stolperstein: Pusbackstr. 38 in Hamburg Meiendorf Walter Bunge, beginnt nach der Volksschule er eine Schlachterlehre. Im Ersten Weltkrieg meldet er sich freiwillig zum Heer. Als Kriegsgegner kehrt der Zwanzigjährige aus Belgien zurück. Ein Kopfschuss hat sein rechtes Auge zerstört, seine Kopfschmerzen werden ihn das ganze Leben lang nicht mehr verlassen. Kurz vor der Reichstagswahl, am 5. März 1933, beginnt die lange Reihe von Walter Bunges Gefängnisaufenthalten. Als seine Kriegsversehrtenrente halbiert wird, müssen sich Bunges nach einer neuen Existenzgrundlage umsehen. Walter Bunge richtet eine Süßmosterei ein. Während der Arbeit spricht er freimütig über seine antifaschistische und kriegsfeindliche Einstellung gegenüber Nachbarn und der eigenen Familie. Dies kommt seinem linientreuen Bruder in Berlin zu Ohren, der ihn denunziert. Im Juli 1942 erneute Festnahme. Walter Bunge wird mit 46 Jahren enthauptet. Text: Dr. Eva Lindemann |
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Dr. Alwin Cäsar Gerson Stolperstein: Schleusenredder 23 in Wohldorf/Ohlstedt Mit seinem Berufswunsch Arzt zu werden, nimmt Alwin Gerson eine lange Familientradition auf: Seit dreihundert Jahren gibt es in Hamburg und Altona jüdische Ärzte mit diesem Namen. Der junge Medizinstudent Alwin Gerson ist allerdings nicht mehr Mitglied der jüdischen Gemeinde. Seine Eltern haben ihren Sohn taufen lassen. Recherche: Astrid Louven |
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Georg Mewes geb. 7. April 1909 in Hamburg gest. 2.1.1944 im Buchenwald. Stolperstein: Hasselwisch 5 in Hamburg Ohlstedt Georg Mewes, Sohn eines Gutsverwalters in Wohldorf-Ohlstedt studiert nach dem Abitur an der Lichtwarkschule ab 1929 Architektur in Stuttgart und Berlin. 1938 heiratet er seine Kommilitonin, die Deutsch-Amerikanerin Isolde Berger. 1939 gestaltet er den deutschen Beitrag auf der technischen Weltausstellung in Brüssel und arbeitet als Bauleiter in Österreich. 1940 muss er, gegen seinen Willen nach Norwegen versetzt, militärische Bauprojekte durchführen. 1942 stürzt er bei einer Exkursion mit dem Flugzeug ab. Er kommt er in das Lazarett Nikolassee in Berlin. Als er sich zur Rekonvaleszenz bei seinen Eltern in Ohlstedt aufhält und beginnt, seine Freunde und Verwandten vor dem Nationalsozialismus zu warnen, kommt es zur Denunziationen aus der Nachbarschaft. 1943 wird er unter „Spionageverdacht" festgenommen und in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht. Eine Rolle spielt vielleicht auch sein Kontakt zum Schweizer Gesandten in Berlin, dem er seine Auswanderungspläne anvertraut hat. Ohne Anklage, Prozess oder Verurteilung kommt Georg Mewes im November 1943 in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Recherche: Marina Dietz, Johanna Geyer und Josephine Lindemann, die hierfür 2010 den Bertini-Preis erhielten Text: Dr. Eva Lindemann |
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